Das I MUVRINI-SOMMER-MENUE: Casse-croute

Casse-croûte ( Zwischenmahlzeit ) am Berg

Nach der letzten Show in Hyeres an der Cote d`Azur reisen alle fuer 4 Tage heim, ich allerdings fahre nach Nizza um von dort mit Faehre bereits jetzt nach Korsika ueberzusetzen. Hier angekommen, tauchen viele Erinnerungen an dortige Erlebnisse auf, die Open-Air Gigs mit Stephan Eicher und Kurz-Urlaube im Appartement eines Freundes. Die italienisch gepraegte Altstadt mit den engen Gassen und ungezaehlten Restaurants und Bars, die antike kleine Akropolis aus der griechischen Epoche, der sehr lebendige und ausladende Strandboulevard am Quai des Anglais und dem Meer gegenüber die herrlichen Fassaden der prunkvollen Prachtbauten aus der Belle Epoque, welche man nach wie vor wiederzuerkennen glaubt aus dem legendaeren Hitchcock-Movie: Ueber den Daechern von Nizza, wie das Casino Ruhl und das Hotel Negresco. Ich tauche nicht weiter ein, sondern begebe mich zum Faehrhafen. Von dort geht es in einer fuenfeinhalbstuendigen Ueberfahrt mit Corsica Ferries nach Bastia. Auf dem hinteren Oberdeck laeuft unverbindliche Dance Music, ein kleiner Kids-Pool sorgt fuer entsprechende Kurzweil und die vielen Passagiere, wenn nicht innerhalb, suchen windgeschuetzte Nischen auf Deck, da wir doch sehr zuegig-zugig durchs Ligurische und spaeter Thyrrenische Mittelmeer pfluegen. Dann endlich: Land in Sicht!

Das Cap Corse, der noerdlichste Punkt der „Schoensten“ taucht am Horizont auf, der erkennende blinzelnde Blick im Gegenlicht der Sonne verwandelt Vorfreude in Glücksgefühl.
Eine gute Stunde spaeter dann mein vorlaeufiger Heimathafen: Bastia!

Nun daemmert es bereits und eigentlich sollte ich mich aufmachen, das Haus vom Chef, seiner Einladung folgend, zu suchen. Aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen, den Vieux Port Bastia`s zu begruessen und mir bei Jean Bart, unserem Lieblings-Restaurant ein paar Muscheln zu goennen.
In der „Castagniccia“, am Hang oberhalb des Kuestenortes Folelli, etwa 40 km suedlich von Bastia, liegt das Geburts-Dorf Tagliu-Isulacciu der Bernardini Brueder. Obwohl Achim mir den Weg dort hinauf einige Male beschrieben hat, war mein Vertrauen in seine Navigations-Terminologie nicht ganz angebracht. Nach all den Jahren haette ich es wissen sollen, wir ticken da halt nicht gleich. Doch fand ich Hilfe, nachdem ich wiederholt auf dem Hinterhof eines Dorfbewohners in einer Sackgasse landete. Spaetestens nach Nennung des Kuenstlernamens zeigte er sich wohlwollend und fuhr ein gutes Stueck des Weges in die Berge voraus, nicht, ohne mir trotz fast noch aelteren Fahruntersatzes zu zeigen, wer hier auf der Strasse die Hosen an hat. Die Auffahrt zum Haus daselbst geriet zum letzten, kleineren aber loesbarem Problem, da mir unbekannt, wirklich sehr steil und nur im ersten Gang zu bewaeltigen. Angekommen, Ueberblick verschafft, ausgeladen, Bett bezogen und erste Duftnoten geschnuppert auf der grosszuegigen Terrasse. Ich sehe oestlich in der Ferne das mondbeschienene Meer glitzern, hoere neben den nachtaktiven Tierstimmen, bis hier oben hinauf, obgleich gut 7 Strassenkilometer entfernt, sogar die manchmal nicht ganz sauber gesungenen zweiten Stimmen der 3-Mann-Kapelle aus der Pizzeria in Folelli, deren Koch mal als Auftragskiller gearbeitet haben soll und bin gleichermassen gespannt wie ich mich darauf freue, was der Morgen mir wohl bringen wird.

Nun, ich bin ueberwaeltigt. In der Entfernung gerade vor mir sehe ich sehr deutlich Elba, dahinter am Horizont kann ich gar einen Teil des Verlaufs der italienischen Kueste erkennen, weiter noerdlich ragt Capreia hervor, schraeg unter mir liegt Tagliu, ca. 700 m Luftlinie, ich kann sogar die Gespraeche der Dorfbewohner hoeren. Und als die Mama zum Essen ruft, koennte auch ich gemeint sein, moechte ich am liebsten hingehen und mich dazusetzen, so deutlich ist ihre Aufforderung. Hinter und neben mir ragen die Kastanienwaelder wie ein dicht gewebter Teppich aus den Bergen heraus, prall und ueppig gewachsen wie Urwald. Ueber und unter mir kreisen ein praechtiger Roter Milan und Bussarde. Hier also sind die Bernardini-Brueder aufgewachsen, haben sicherlich sehr frueh klettern gelernt und ein spezielles Verhaeltnis zu raeumlichen Hoehen und Tiefen entwickelt, stets in unmittelbarer Verbindung zur elementaren Natur wie Meer und Wind, da stets praesent, sowie zu Flora und Fauna, die allgegenwaertigen Kastanien und Olivenhaine, die vielstimmingen Waldbewohner stets hoerbar und vielerlei Spuren hinterlassend. Ich versuche mir vorzustellen, wie ihr Vater Gjhuliu Bernardini, ein beruehmter Saenger und Poet der Insel, hier mit ihnen gesungen hat, sie in die Mysterien des polyphonen Gesangs eingeweiht hat um dann erste gemeinsame Auftritte zu absolvieren. Leider ist Gjhuliu bereits 1977 verstorben. Wie wir heute wissen, haben seine Soehne sein Erbe phantastisch weitergetragen. Ihm widmen sie 1978 ihr erstes Album: „I Muvrini Ti Ringrazianu („I Muvrini danken Dir“), das mit der Ehrung ihres Vaters beginnt: „Addiu a Ghjuliu“.
Die 4 Tage im Haus am Berg verbringe ich entspannt, in aller Ruhe, lass die Athmosphaere auf mich einwirken und bin ein wenig kreativ. Ich unternehme einen Ausflug an die Nordkueste um St. Florent, nachdem mir ein Freund von Alain, Werkstattmeister in Bastia, meine rechte Seitenscheibe repariert, die sich elektronisch nicht mehr schliessen laesst und beobachte am Vortag unser diesjaehrigen Korsika-Tour-Premiere den Buehnenaufbau hierfuer schmunzelnd mit dem Fernglas, da unser erster Auftritt ausgerechnet in Folelli stattfindet.


(Photos: Mickey Meinert)