Das I MUVRINI-SOMMER-MENUE: Plat N. 1

Un menu de plusieurs plats – Mehrgaengige Hauptmahlzeit auf Korsika – Plat N. 1

Mit dem ersten Bissen tastet man sich bekanntlich an den Hauptgang heran. Vorweggenommen: Bedingt durch kleinere Programm-Aenderungen, neuer Buehnentechnik nebst Aufbau sowie einer gewissen Nervositaet der Protagonisten, sind die Heimkonzerte fuer sie doch von immenser Bedeutung, geraet die Premiere zwar noch nicht ganz rund, aber durchaus gelungen, vom zahlreich erschienenen internationalem Publikum lautstark bezeugt. Allerdings waere mir der erste Happen fast im Halse stecken geblieben. Folgendes war geschehen:
Zur laengeren, poetischen Ansage zum Titel „Alma“, zu deutsch:“Seele“, einer meiner Favoriten, mit traditionellem Gesang, gestuetzt von warmen Keyboardakkorden und feinen Violinenmelodien, sollten Achim mit einer geheimnisvollen Flaeche und ich mit der klassischen Gitarre erstmalig eine mystische Athmosphaere kreieren. Leider war dieser Plan bei Gilles, unserem Monitor-Techniker, nicht angekommen und er legte, wie bisher an dieser Stelle ueblich, die Background-CD ein, die haeufiger zwischen den Songs zu den Ansagen von Jean-Francois zum Einsatz kommt. Nun hatte diese Musik nichts mit unserer geplanten gemeinsam, so dass wir uns ziemlich ratlos anblickten, irgendwie auch noch versuchten auf Gilles mit Gesten einzuwirken, aber erfolglos. So startete bald das eigentliche Lied und ich schickte mich an, die Buehne zu verlassen, da ich bei diesem Song nicht mitspiele. Noch gedanklich befasst mit dem verhinderten Backing und halbblind durch die zum Intro passende sehr dunkle Lichtgestaltung fiel ich ploetzlich ins Nichts……
Erstaunlich, wie sich die relative Zeitwahrnehmung in Situationen des unmittelbar bevorstehenden Crashs verwandelt. So viele Gedanken, die Reihenfolge bringe ich evtuell nicht mehr zusammen. Der erste war wohl: Nun hat`s mich also doch noch erwischt! Nach ueber 3 Jahrzehnten on Stage, vielen miterlebten Unfaellen anderer Musiker oder Geschichten darueber, einigen beinahe-Katastrophen, so fiel einmal eine Traverse kurz nach einer Al Bano Carisi-Show in Sueditalien knapp neben mir zu Boden, der ein oder andere Stromschlag suchte mich heim, kleinere Blessuren beim Auf-und Abbau waren oft unvermeidlich, aber eben noch nie der so gefuerchtete und in der Phantasie durchlebte Buehnensturz. Es folgte leichte ironische Belustigung ueber meine Slapstick-Einlage nebest dem Gefuehl des freien Falls:“Huch!“, ergaenzt von ploetzlicher Furcht um die weitere Tour, ist es doch gerade mal die Premierenshow der Giru. Dann noch: was erwartet mich da unten? Bumm! Aufprall, leichte Benommenheit, eventuell ein kleiner Schock. Ich liege in einer dunklen Nische zwischen Bühnenaufgang, einer kleinen Metalltreppe, und linkem Lighttower. Hat mich ueberhaut jemand stuerzen sehen? Ich beginne meinen Koerper zu checken, von oben nach unten. Kopf okay, kann ihn leicht bewegen. Schulterzucken moeglich, Haende normal,-Gottseidank!!!!, aber der rechte Arm schmerzt. Die Wirbelsaeule hinab, oha, Beckenbereich, Steissbein, da ist etwas nicht in Ordnung. Es zieht ins linke Bein runter, rechts ist gut. Ich kann die Fuesse bewegen. Nach einer halben gefuehlten Ewigkeit hilft man mir auf, begleitet von mehrsprachigen Zurufen. Shelly etwa, die Mutter der Kompanie, sie kuemmert sich waehrend der Tour um alle Mitarbeiter bezueglich Unterbringung usw, ruft: „What have you done?“ Oder Thomas, der ebenfalls eine kurze Spielpause hat: „Bist Du in Ordnung?“ Ich lehne mich an den Buehnenrand, noch etwas benommen, versuche tief zu atmen und meine Spielfaehigkeit zu checken, waehrend mich alle drum herum Versammelten zum Hinsetzen auffordern und der Song „Alma“ weiterlaeuft. Natuerlich hat niemand auf der Buehne den Vorfall mitbekommen. „Are you okay?“ „Can you play?“ „Yes, I think so!“ Mir wird auf die Buehne geholfen, ich verlagere meine Balance ausschliesslich aufs rechte Bein und da der rechte Arm immer staerker schmerzt und ich ihn nicht mehr ueber Huefthoehe anheben kann, beschliesse ich auf`s Plektrumspielen weitestgehend zu verzichten. Ich bekomme Schmerzmittel gereicht, mein rechtes Inear-Plugin wird erfolgreich im Sturzbereich gefunden und wieder angebracht, die Instrumentenwechsel fallen schwer. Erst einmal irgendwie das Konzert zu Ende bringen, danach dann alles weitere. Einigen steht der Schreck ins Gesicht geschrieben, wir besichtigen den Ort des Geschehens. Im Eifer der Hektik des ersten Konzerts mit neuer Ausstattung ist die Absicherung des Buehnenabgangs vernachlaessigt worden. Im Aufprallbereich liegen keine groesseren und spitzen Steine, nur flache, allerdings ragt eine Metallstange etwa einen halben Meter entfernt aus dem Boden. Alle kuemmern sich ruehrend um mich, die Schmerzen nehmen zu. Ich verzichte auf weitere Mittel, denn ich will wissen, woran ich bin. Eine Nacht drueber schlafen, wenn moeglich, dann sehe ich vielleicht schon klarer. Einige Male werde ich wach, versuche vorsichtig, meine Position zu aendern um dann hoffentlich bald wieder einzunicken.
Der folgende Morgen foerdert Erstaunliches zutage: Gluecksgefuehle, Leichtigkeit, trotz einiger Schmerzen und ziemlich eingeschraenkter Bewegungsfaehigkeit, wobei der Arm kaum noch Sorge bereitet. Ich beginne zu begreifen, welch unverschaemtes Glueck ich gehabt habe, fuehle mich wertvoll beschenkt: Ich lebe, kann spielen, die Tour geht weiter! Das abendliche Konzert in St. Cipriano, quasi wieder direkt am Strand wie letztes Jahr, geraet geradezu zu einem Triumph. Bei meiner ungelenken Bewaeltigung hierzu hilft mir eine gute Freundin von Jean-Francois mittels Heilmassagen und Ohr-Akupunktur. Unser drittes Korsika-Konzert fuehrt uns in suedliche Gefilde nach Olmeto, wo ich mich sofort wieder an mein erstes Meerbad vom Vorjahr erinnere. Soweit bin ich nun leider doch noch nicht wieder hergestellt…….
Hoehepunkt des ersten 5er Tourblocks ist nicht nur fuer mich der Gig in Corte, der alten Hauptstadt des zwischen 1755 und 1769 unabhaengigen Teils Korsikas, damaliger Wirkungsort von Pascal Paoli, dem stets und ueberall auf der Insel gehuldigtem Nationalhelden und Sitz der von ihm begruendeten ersten und einzigen Universitaet. Er reorganisierte Korsika in dieser Epoche als Staat und gab diesem eine demokratische Verfassung mit Gewaltenteilung und Voelkersouveraenitaet.
Als Special Guest wirkte in der Zugabe der beruehmte franzoesische Poetry-Slam Kuenstler „Grand Corps Malade“ mit (http://www.grandcorpsmalade.com/), wie bereits auf der ersten Single „Terra Nova“ des neuen I Muvrini-Albums: „Gioia“.

Eine bemerkenswerte Persoenlichkeit mit einer beeindruckenden Geschichte. Er zog sich 1997 bei einem Badeunfall schwere Verletzungen an der Wirbelsaeule zu, lernte dank starkem Willen wieder laufen, mit Kruecke, was irgendwie wohl auch zu seinem Markenzeichen auf der Buehne geworden ist und entdeckte und formte daraufhin seine kuenstlerische Begabung der Poesie, Wortgewandheit und Stimme und gab sich eben auch diesen ungewoehnlichen Namen: „Grosser Kranker Koerper“. Beschrieben hat er seine damalige Situation und die Konsequenzen daraus in einem Song wie folgt:
„Um 11 Uhr fühlte ich mich unbesiegbar. Um 11 Uhr 08 gleitet mein Leben in eine Kurve. (…) Wie ein Blitz, ein Stromschlag (..). Aber ich hatte Glück, ich bin am Schachmatt vorbeigezogen. Um Viertel vor 12 nahm ich meinen blauen Stift, (…) und ich legte Worte auf alles, was mir auf dem Magen lag.“

Aufgewachsen in den Banlieus von Paris, hochbrisanter Brandherd der Seine-Metropole, widmet er sich seither vielen sozialen und kulturellen Projekten, um Menschen Perspektiven aufzuzeigen. Sein erstes Album landete sofort auf Platz 1 in den französischen Charts, er geniesst Kult-Status in Frankreich und weit darueber hinaus, ist eine imposante Erscheinung, ca. 2 Meter gross, mit offenen symphatischen Augen und einer beeindruckend tiefen, warmen Stimme, die fuer jeden Tontechniker eine pure Freude darstellt. Sein wirklicher Name ist Fabien Marsaud und er bedankt sich gluecklich und bescheiden bei uns, wie wir auch bei ihm.
Wir werden noch mehr als ohnehin schon abgefeiert. Zu meiner persoenlichen Freude traegt neben fortschreitender Genesung noch die Ankunft meines Sohnes Joshua bei. Er wird mich 10 Tage lang begleiten.
Der Abschluss des ersten Abschnitts der Giru Corse 2010, „Gioia“, geraet stuermisch, da der natuerliche Feind von korsischen Open-Air Veranstaltungen, der Wind, das Mittelmeer an der Westkueste ordentlich aufwuehlt, ungewoehnlich hohe Wellen erzeugt und bei Boeen bis zu Windstaerke 10 fuer die einiges an Angriffsflaeche bietenden Lighttower und geflogenen Soundsysteme durchaus gefaehrlich werden kann.

Liebenswerterweise beruhigt sich der Sturm zum Abend hin und der Gig in Tuccia kann, von starkem Applaus begleitet, problemlos stattfinden.
Nach laengerer Rueckfahrt in unsere Homebase, das Best Western in Bastia, freue ich mich nun auf einen freien Tag, an dem ich mich einfach nur ausruhen, den geschundenen Koerper pflegen und den nahen Sandstrand geniessen moechte.
Festzustellen bleibt, das diese Tour noch besser besucht ist als letztes Jahr, beim Publikum noch besser ankommt und das gesamte Feeling irgendwie noch entspannter, positiver und kreativer strahlt. Der erste Hauptgang mundete insgesamt also grossartig und wartete mit einigen ueberraschenden Beilagen auf!


( Photos: Joshua Meinert, Stella-Maria Guisepacci )